• Preisverleihung 2018

„These Boots are made for walking“ – vom Berber zum Sozialkünstler.

Seit Jahren tummelt sich Rainer quer durch die Vorlesungen der Obdachlosen-Uni. An einem schönen Sommertag im Mai traf ich ihn im Hinterhof vom Theaterhaus Berlin Mitte, um mit mir etwas über seinen Einstieg in die Obdachlosen-Uni, über das Leben an sich und sein Leben im speziellen zu sprechen.

Er ist ausgebildeter Eisenbahner und Allroundhandwerker aus der ehemaligen DDR. Eines Tages entschied er sich zum Berbertum und lebte zehn Jahre auf der Straße und zog von Stadt zu Stadt und über die Dörfer. Rainer erklärte mir dabei, dass Berber keinesfalls mit sogenannten Stadtratten zu verwechseln seien, da diese sich immer in der gleichen Stadt aufhalten (vgl. auch Rüdiger Heins (1998): „Von Berbern und Stadtratten“, Göttingen).

Heute ist Rainer Sozialkünstler. Doch Schritt für Schritt: Nach 10 Jahren Berbertum wandte sich Rainer an das Haus Strohhalm der SPI. Im Haus Strohhalm können 51 wohnungslose Männer, Frauen und aber auch Familien mit unterschiedlich schwerem Abhängigkeitsgrad untergebracht und betreut werden. Je nach Betreuungsbedarf erfolgt die Unterbringung auf drei verschiedenen Etagen des Haupthauses sowie in zwei Außenwohngruppen. Die Einrichtung bietet eine „rund-um-die-Uhr“ Betreuung an (vgl. Website vom Haus Strohhalm). Dorthin wendete er sich, da er Hilfe suchte. Nach einem „Ämterkrieg“ bekam er einen Burnout, so dass er vom Haus Strohhalm erste Hilfe erhoffte.

Von dort gelangte er zu Enterprise – ein Kontakladen der SPI in unmittelbarer Nähe vom Bahnhof Lichtenberg. Der Kontaktladen "enterprise" ist Anlaufstelle für Abhängige und Gefährdete von legalen und illegalen Suchtmitteln, deren Angehörige sowie von Menschen in Krisensituationen (vgl. Website vom Enterprise Kontaktladen).

Dort hat er dann schließlich ehrenamtlich mitgearbeitet. Er hat, wie er sagt, die mobile Tierärztin „HundeDoc“ unterstützt und auch sonst „den Laden mitgewuppt“.

Die nächste Station Rainers war dann der Brückeladen der GeBeWo. Der Kontakt -und Beschäftigungsladen ist ein Treffpunkt für arbeitslose, suchtkranke, und (ehemals) wohnungslose oder von der Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen. Im Brückeladen können die Besucher kreativ tätig werden und andere Menschen kennen lernen (vgl. Website vom Brückeladen).

Dort arbeitete Rainer als Allroundhandwerker in der Holzwerkstatt mit und baute in dieser Funktion u. a. das Theaterequipment der Theatergruppe mit. Er macht dann kurzerhand auch die Fotos der Theatergruppe für die Website und als es dann eine Lücke in einem zu probenden Stück gibt, springt „Hausmeister Rainer“ spontan ein – und spielt den Hausmeister!

Jill, die damalige Theaterdozentin unserer Obdachlosen-Uni, ist begeistert von der Einlage Rainers und lädt ihn in den Social Muscle Club ein. Der Social Muscle Club ist eine Gruppe von internationalen Künstler*innen und Performer*innen, die seit 2012 kontinuierlich zusammenarbeitet und performative Events produziert (vgl. Website vom Social Muscle Club).

Dort gefällt es Rainer so gut, dass er für ein Jahr Dauergast wird und schließlich zum Mitglied aufsteigt. Wenn er nicht gerade im Social Muscle Club verweilt, kocht er seinerseits mit Maria im Kochkurs der Obdachlosen-Uni und gibt einen eigenen Kurs: Er ist der Obdachlosen-Uni Dozent für Gitarrenunterricht im Therapeutisch Betreuten Einzelwohnen, BEW Am Rodelberg, ebenfalls eine Einrichtung der GeBeWo. Das Therapeutisch Betreute Einzelwohnen (BEW) ist ein niedrigschwelliges, ambulantes Hilfeangebot für Menschen, die ihren Umgang mit Alkohol als problematisch und schwierig erleben (vgl. Website des BEW Am Rodelberg).

Rainer ist also mittlerweile Dozent für den Gitarrenkurs, Teilnehmer des Theaterkurses und des Kochkurses. Er scheint sich wohlzufühlen in der Obdachlosen-Uni!

Doch der Weg geht weiter. Rainer wird zum Hausfotografen des Social Muscle Clubs. Dann bekommt er einen entscheidenden Tipp: „Mach doch eine Theaterausbildung!“ Er macht also eine Theaterausbildung bei JobAct. JobAct verbindet theaterpädagogische Methoden und Biographiearbeit mit klassischem und kreativem Bewerbungsmanagement (vgl. Website JobAct der Projektfabrik). Und nun kommt noch die „Schule der sozialen Kunst“ ins Spiel und plötzlich taucht er, nach verschiedenen Praktika, in der Schweiz als Sozialkünstler in einem Draisinenrennen auf und geht, wenn alles klappt auf „Welttournee“ mit dem Social Muscle Club. Wahrscheinlich geht die Geschichte hier noch lange weiter. Aber dazu mehr, wenn es mehr zu erzählen gibt.

Ich hoffe, wir verlieren ihn nicht aus den Augen, aber zunächst hoffen wir mal, er kommt zu einem der Englisch-Kurse der Obdachlosen-Uni, denn für seine Welttournee fehlen ihm noch ein paar erweiterte Englischkenntnisse. Vielleicht gibt er ja auch mal einen Fotografiekurs, denn Fotografien macht er, neben allen geschilderten Aktivitäten, auch noch professionell. Aber alles bitte entschleunigt – einen weiteren Burnout braucht Rainer nun wirklich nicht.

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